Wenn eine Muskelfaser mit einem elektrischen Impuls stimuliert wird, reagiert diese Faser mit einer Zuckung, auch twitch genannt. Wenn man mit einer Serie Impulse reizt, wird mit zunehmender Reizfrequenz die ausgelöste Kontraktion gleichmässiger, glatter. Es tritt eine Kontraktions-Summation auf die sich, je höher die Frequenz wird, als glatte tetanische Kontraktion äußert.
Mit zunehmender Frequenz nimmt auch die Kontraktionskraft zu, wobei ab etwa 50 Hz bis 60 Hz die maximale Kraftentwicklung erreicht wird.

Man unterscheidet:

  • 1 bis 10 Hz: Einzelzuckungen
  • 10 bis 20 Hz: Fibrilationen
  • 20 bis 80 Hz: tetanische Kontraktionen
  • über 90 Hz: Muskelwogen (Myokymie)

Es gibt buchstäblich Tausende von Untersuchungen die belegen, dass NMES zu morphologischen und funktionellen Anpassungen im stimulierten Muskel führt.

  • Der Fenotypus der stimulierten Muskelfasern ändert sich, über kurz oder lang, je nach auferzwungenen Stimulationsfrequenz von fast-to-slow oder von slow-to-fast und
  • je nach benutzter Stimulationsfrequenz wird der stimulierte Muskel in vitro kräftiger und/oder ausdauernder

Interessanterweise passiert in den ersten 3 bis 4 Wochen während einer NMES Behandlung im Muskel selbst nicht viel bis gar nichts. Die Kraft nimmt signifikant zu und der Muskel wird mehr Ermüdungsresistent, dennoch sieht man keine morphologische Änderungen (Hortobágyi et al 2000, Maffiuletti 2010), ähnlich wie beim normalen Krafttraining (del Vecchio et al 2019). Bei diesen Anpassungen handelt es sich um neurale Effekte wie die verbesserte Rekrutierung von Motorunits und Prozesse die sich wahrscheinlich kortikal und subkortikal abspielen und die man noch nicht so recht versteht (Hortobágyi et al 2000).

Das einzige Problem im Zusammenhang mit den morphologischen Anpassungen ist, dass die Untersuchungen sehr häufig an eher kleinen Nagetieren durchgeführt wurden. Der Triceps surae einer Ratte ist aber nicht vergleichbar mit dem menschlichen Quadriceps femoris und Letzterer muss in 60% der Fälle in Studien Homo Sapiens betreffend herhalten. Es ist eine Kleinigkeit mit NMES in einer Rattenwade sämtliche Muskelfasern tagelang zu stimulieren. Beim menschlichen Quadriceps sieht das aber ganz anders aus. Da werden bestenfalls etwa 40% der Muskelfasern stimuliert und je nach topografischen Verhältnissen und Schmerztoleranz des Probanden erwischt man unterschiedliche Muskelfasertypen, und wenn während einer Sitzung die Elektroden am gleichen Ort bleiben werden immer wieder dieselben Fasern stimuliert. Nicht nur deshalb kommt es manchmal zu unerwarteten Studienergebnissen. Ein weiterer Grund ist die Tatsache, dass bei vielen Untersuchungen eine bunte Vielfalt an Behandlungsparameter eingesetzt wird die den Vergleich der Ergebnissen verunmöglicht.

Manche Autoren behaupten, dass bestimmte Muskelfasern mit bestimmten Frequenzen stimuliert werden sollen damit man das Training auf Kraft oder auf Ausdauer ausrichten kann. Die Frequenz bestimme den Traininsausgang. Appell (1992) zum Beispiel behauptet, dass fast-twitch Fasern (Typ II) nicht kontrahieren mit Stimulationsfrequenzen unter 35 Hz. Bossert et al behaupten (2006), dass diese Fasern gezielt mit Frequenzen rund 50 Hz bis 60 Hz maximal stimuliert werden sollen. Andere Autoren (Caiozzo et al 1997, Veldmann et al 2016, Maffiuletti et al 2018) behaupten, dass nicht die Frequenz sondern die geleistete Arbeit während der NMES den Trainingseffekt bestimmt. Die meisten Autoren favorisieren die zweite Theorie.

Schauen wir uns das mal etwas genauer an, so einfach ist das nämlich nicht.

Die Weise wie NMES eingesetzt wird hängt vom Behandlungsziel ab. Möchte man zum Beispiel bei einem geschwächten COPD Patienten mittels einer Stimulation des Quadriceps femoris die Gehstrecke verlängern? Oder bei einem durchtrainierten Elite-Athleten die Sprungkraft verbessern? Die Behandlungsparameter sind interessanterweise gemäß mehereren Quellen für beide Personen praktisch gleich (Filipovic et al 2011, 2012, Veldman et al 2016, Maffiuletti et al 2018). In den tausenden Publikation zum Thema NMES (Dezember 2020 über 8000 hits bei Pubmed) werden oft sehr unterschiedliche Parameter benutzt. Die erfolgreiche Anwendungen verwenden dennoch fast immer die nachfolgende Einstellungen für Kraft- und Umfangstraining und für Ausdauertraining.

  • Biphasische Impulse, Rechteck
  • Phasendaur 100 µs bis 500 µs
  • Frequenz 50 Hz bis 100 Hz
  • Einschleichende Impulsserien, ramp-up 1 bis 3 Sekunden
  • Duty cycle 20% bis 25% ( = 100 /total ON Zeit + OFF Zeit), ON Zeit 3 s bis 10 s, OFF Zeit 15 bis 50 s.
  • Dauer einer Sitzung: 10 bis 30 Minuten
  • Ein mal täglich, 3 bis 5 mal wöchentlich
  • Intensität: Toleranzgrenze, Schmerzgrenze
  • Immer kombinieren mit aktivem Training

Es werden sehr unterschiedliche Trainingsprotokolle verwendet.

Es gibt zum Beispiel das Protokoll der Russian Stimulation (Andrianova et al 1974). Dieses 10-50-10 Protokoll verlangt während 10 s eine sehr kräftige Kontraktion, danach 50 s Pause. Das wird 10 mal wiederholt. Auch gibt es zum Beispiel ein 10-20-30 Schema: In den ersten 10 s wird die Amplitude stark erhöht, damit eine sehr kräftige Kontraktion ausgelöst wird (bis zur Toleranzgrenze) (Manche Autoren überlassen das Hochregeln dem Probanden und wundern sich später über unterschiedliche Ergebnisse.) Diese Kontraktion wird 20 s gehalten. Wenn die Muskelspannung während diesen 20 Sek. abnimmt, muss der Strom nachreguliert werden. Am Schluss folgt eine Pause von mindestens 30 Sekunden zur Wiederaufbau der ATP-Speicher.

Nach einer maximalen Leistung während 6 bis 10 s sind alle sofort verfügbare Energielieferanten verbraucht (vgl. 100 m Sprint). Diese Energielieferanten sind das wenige im Muskel frei verfügbare ATP welches für 2-3 maximale Kontraktionen genügt, und das ATP, das aus dem Kreatinphosphat-System gewonnen wird. Die Zeit, bis nach einer maximalen Leistung etwa die Hälfte dieser Energielieferanten wieder aufgebaut ist beträgt etwa 20 s. Es ist also sinnvoll, zwischen den einzelnen maximalen Kontraktionen eine genügend lange Pause einzubauen. Ob die 20 s Kontraktion wegen der HFF überhaupt sinnvoll sind ist fraglich.

Bei den oben erwähnten zwei Patienten werden sich lediglich die Trainingsintensitäten enorm unterscheiden. Es ist dabei üblich, die Trainingsintensität als Prozentsatz der maximalen freiwilligen Kontraktion (MVC, maximum voluntary contraction) anzugeben. Der Athlet wird erst von einer NMES Behandlung profitieren wenn er damit mindestens 50% der maximalen willkürlichen Kontraktion (MVC, maximum voluntary contraction) des zu trainierenden Muskels erreicht. Beim COPD Patienten können wir den Wert nur schätzen, da der Patient ja nicht adäquat belastbar ist. Es wird etwa 5 bis 10 % des MVC sein. Auch die Toleranzgrenze für die Impulsintensität wird bei unserem COPD Patienten wahrscheinlich niedriger sein als beim Athleten. Die übrigen Parameter sind dennoch für beiden Patienten gleich.
Nun kann man das Training auf unterschiedlichen Zielen ausrichten wie Kraft (dynamisch und isometrisch), Ausdauer und Schnellkraft. Maffiuletti (2010) und Filipovic et al (2011, 2012) empfehlen die NMES mit den oben erwähnten Parameter anzuwenden aber dies unbedingt mit einem entsprechend ausgerichtetes normales Training zu kombinieren.

Nun zur Frequenzspezifität.

Zur Verbesserung der Ausdauer ist NMES mit einer Frequenz von 10 bis 20 Hz besser geeignet als NMES mit einer höheren Frequenz weil es angenehmer ist (Thériault et al 1996, Nuhr et al 2003, Miyamoto et al 2016). Die hochfrequente NMES ist, falls zur Kräftigung dosiert, sehr belastend und führt rasch zur Ermüdung, lange bevor die physiologische Prozesse zur Ausdauerverbesserung aktiviert werden. Trotzdem führt diese Art der Stimulation auch zur Verbesserung der Ausdauer. Die niederfrequente Stimulation ist aber durchaus angenehmer und wird deswegen über längere Zeit -bis 4 Stunden am Stück!- gut toleriert. Es sind mir leider keine Untersuchungen am Menschen bekannt wobei man bei einer hochfrequenten NMES einfach die Intensität weniger hoch aufgedreht hat.

Die Aα-Motoneuronen variieren in Dicke (8-20 µm), Leitungsgeschwindigkeit (70 bis 120 m/s) und Reizbarkeit. Je schneller eine Nervenfaser leitet, umso niedriger ist ihre Reizschwelle. Zur Unterscheidung verwenden manche Autoren die Bezeichnung Aα-1 für die schnellere und Aα-2 für die etwas langsamere Aα-Motoneuronen. Ein genügend langer und genügend starker Impuls löst am empfindlichsten Aα1-Nervenfaser frequenzunabhängig ein Aktionspotential aus. Dieses Aktionspotential wird zum Typ IIA und IID Muskelfaser weitergeleitet. Ob nun diese Impulse mit einer Frequenz von 20 Hz oder 100 Hz den Nerv stimulieren ist egal: zuerst wird immer der schnellere empfindlichere Aα1-Nervenfaser depolarisiert. Erst bei einer höheren Reizintensität werden die dünneren und weniger empfindlichen Aα2-Motoneuronen depolarisiert und in der Folge werden die Typ I Muskelfasern kontrahieren. Gleichzeitig werden aber selbstverständlich die Typ II Fasern stimuliert. Dies ist in vivo unerheblich, da die Stimulation von den lokalen anatomischen Verhältnissen abhängig ist und deshalb eher ungeordnet abläuft (Gregory und Bickel 2005, Jubeau et al 2007, Bickel et al et al 2011).

Die etwas langsamer leitenden Aα2-Fasern können wegen ihrer längeren Refraktärphase nicht so hohe Stimulationfrequenzen fortleiten wie die schneller leitenden Aα1-Fasern. Dies bedeutet aber nicht, dass bei höheren Frequenzen die Typ I Muskelfasern gar nicht mitkontrahieren würden. Bei niedrigen und höheren Reizfrequenzen werden bei genügend hoher Reizintensität also immer alle Muskelfasertypen im Reizbereich der Elektroden stimuliert. Dies unter dem oben erwähnten Vorbehalt der ungeordneten Aktivierungsablauf.

Die sog. optimale Reizfrequenz gibt an, bei welcher Entladungsfrequenz die jeweilige Muskelfasern eine tetanische Kontraktion zeigen, anders formuliert: mit welcher Entladungsfrequenz der innervierende Nerv seinem Muskelfasertyp zu einer tetanischen Kontraktion bringt und damit zur maximalen Kraftentwicklung. Weil die Typ I Fasern langsam kontrahieren, kann der zweite Impuls etwas länger auf sich warten lassen während die tetanische Kontraktion erhalten bleibt: es wird lediglich eine niedrige Reizfrequenz benötigt, rund 20 bis 30 Hz. Die Typ II Fasern kontrahieren nur ganz kurz und rasch: zur Erhaltung einer tetanischen Kontraktion müssen die Impulse also mit einer höheren Frequenz eintreffen, rund 60 Hz.

Wenn nun mit einer niedrigen (20 - 30 Hz) Frequenz stimuliert wird, werden alle im Reizbereich lokalisierten Muskelfasern kontrahieren wobei die Typ I Muskelfasern eher tetanisch kontrahieren und ihre Kraft optimal entwickeln können. Die gleichzeitig stimulierte Typ II Fasern entwickeln keine glatte tetanische Kontraktion, ihre gesamte Kraftentwicklung ist dementsprechend weniger gut. Aufgrund der leichteren Reizbarkeit des Aα1-Motoneurons können die Kontraktionen, je nach Reizintensität dennoch trotzdem recht kräftig sein. Bei höheren Frequenzen entwickeln die Typ II Muskelfasern wegen der nun auftretenden tetanischen Kontraktion ihre maximale Kraft. Die Typ I Fasern werden aber bei genügend hoher Reizintensität ebenso mitkontrahieren. Vielleicht nicht gerade optimal, kontrahieren werden sie trotzdem. Der Einsatz verschiedener Frequenzen bei der NMES führt somit nicht zu einer spezifischen Stimulation der unterschiedlichen Fasertypen. Wichtig ist die geleistete Arbeit (Hudlická et al 1980, Nix 1986, Chan Kwan Kit-lan 1991, Caiozzo et al 1997, Maffiuletti et al 2018).


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