Abbildungen und Referenzen finden sich im Buch.
Die zweite Auflage ist erschienen und kann hier heruntergeladen werden.
Der nachfolgende Text ist ein kleiner Ausschnitt vom ausführlichen Kapitel über TENS im Buch.
Eins vorab: LLLT und Ultraschall sind erlaubt. US direkt über den Schrittmacher ist natürlich sträflicher Blödsinn wegen den Reflektionen, nicht weil das Teil getriggert wird. NMES, Niederfrequenz, TENS und Mittelfrequenz nur nach Absprache mit dem Kardiologen und mit grösster Vorsicht. Hochfrequenz ist absolut kontraindiziert !
Die oft erwähnte 50 cm Distanz zwischen Elektroden und Schrittmacher machen die Anwendungen auch nicht sicherer.
Was sagt die Literatur ?
• Weitz et al. beschrieben 1997, wie eine postoperative parasternale TENS-Anwendung im 24-Stunden-EKG bei einer Patientin ein Vorhofflimmern vortäuschte. Die Autoren weisen darauf hin, dass die Fehlinterpretation zu Überdiagnostik und einer falschen Therapie hätte führen können.
• Vlay hat 1998 einen Fall beschrieben, wobei ein Patient mit implantiertem Schrittmacher und Kardioverter-Defibrillator (ICD) während einer TENS-Behandlung einen Elektroschock erlitten hatte. Die Elektroden waren mehr als 50 cm vom Pulsgenerator entfernt am Sakrum angelegt. Vlay weist darauf hin, dass den Patienten erklärt werden muss, diese Quellen von elektromagnetischen Interferenzen zu meiden.
• Crevenna et al. stellten 2003 während der Muskelstimulation am Quadrizeps mit TENS-ähnlichen Parametern bei drei von acht Patienten mit sog. DDD-R-Schrittmacher Störungen des Schrittmachers fest. Auch hier waren es bestimmt mehr als 50 cm Sicherheitsabstand zwischen Elektroden und Schrittmacher.
• Pyatt et al. beschrieben 2003 einen Patienten mit Angina-pectoris-Beschwerden nach einer Bypassoperation und Implantation eines ICD. Zur Schmerzbehandlung wurde Burst TENS eingesetzt. Die Elektroden lagen am ventralen Thorax im schmerzhaften Bereich. Bei einer Kontrolle nach sechs Monaten meldete der Patient, dass er einmal während der TENS-Anwendung einen Schock erlitten hatte und dass ihm während jeder Anwendung schwindlig wurde. Zudem wurde er bradykard (deshalb der Schwindel). Sobald er das Gerät abstellte, verschwanden die Symptome. Kontrolle des ICD zeigte, dass das TENS-Gerät die Funktion des ICDs störte. Die Anwendung wurde beendet. Die Autoren weisen darauf hin, dass sich auch nach anfänglich problemloser Anwendung Probleme entwickeln können und dass die Patienten in dieser Hinsicht deshalb besonders gut aufgeklärt werden müssen.
• Occhetta et al. untersuchten 2006 die Inzidenz und die klinische Relevanz von Störungen von ICDs aufgrund externer elektromagnetischer Interferenzen. Bei 13 von 336 Patienten waren zwischen 1989 und 2005 unerwünschte Schocks aufgetreten. Bei zwei Patienten war dies aufgrund einer nicht näher beschriebenen TENS-Behandlung. Den Patienten wurde empfohlen, diese Therapieart zu meiden, und es traten keine weiteren Störungen auf.
• Nägele und Azizi berichteten 2006 von einem Fall, bei dem ein Patient im oberen Lumbalbereich mit TENS behandelt wurde (50 Hz, 40 mA). Praktisch sofort nach Behandlungsbeginn verspürte er einige Schocks von seinem ICD, die Behandlung wurde sofort abgebrochen und der Patient wurde auf die Kardiologie verlegt.
• Engelhardt et al. 2007 beschreiben einen Fall, wobei nach einer Schultergelenksersatzplastik die Stimulation des Plexus brachialis rechts mit 1 ms, 1,4 mA zum kompletten vorübergehenden Ausschalten des Schrittmachers (ebenso rechts) führte.
• Holmgren et al. untersuchten 2008 den Einfluss von TENS auf ICDs. Dazu wurde bei 30 Patienten mit einem ICD unter ärztlicher Überwachung an zwei verschiedenen Stellen TENS angewendet. Die Elektroden wurden zuerst proximal der Mammillen platziert. Im zweiten Versuch wurden die Elektroden über die Spinae iliaca anteriores superiores (SIAS) platziert. Als Anwendung wurden Low Frequency TENS und High Frequency TENS eingesetzt. Die Platzierung proximal der Mammillen löste bei 16 von 30 Patienten Interferenzen mit dem ICD aus, die Platzierung über die SIAS bei sieben von 30 (mehr als 50 cm!). Die Anwendungen unterschieden sich hinsichtlich der Störungen nur minimal. Die Autoren empfehlen, bei Patienten mit einem ICD kein TENS anzuwenden.
• Carlson et al. untersuchten 2009 den Einfluss von TENS auf implantierte Herzschrittmacher. Bei 29 Patienten wurde unter ärztlicher Überwachung TENS mit 2 Hz und mit 80 Hz eingesetzt. Die Elektroden wurden proximal der Mammillen platziert. Im ersten Versuch wurden die beiden TENS-Anwendungen bei normaler Schrittmacherempfindlichkeit durchgeführt. Danach wurde der Schrittmacher auf maximale Empfindlichkeit eingestellt. Bei lediglich fünf der 29 Patienten traten keine Störungen auf. Bei normaler Empfindlichkeit traten bei 80 Hz bei neun und bei 2 Hz bei 14 Patienten Störungen auf. Bei maximaler Empfindlichkeit traten bei 80 Hz bei 17 und bei 2 Hz bei 22 Patienten Störungen auf. Die Autoren plädieren dafür, bevor an Schrittmacherpatienten ein TENS-Gerät abgegeben wird, eine kontrollierte Probeanwendung durchzuführen und danach die Behandlung zu überwachen. Die Autoren schlagen vor, am Schrittmacher die niedrigste, klinisch noch vertretbare Empfindlichkeit einzustellen.
• Cenik et al. (2016) empfehlen bei der Anwendung von Neuromuskulärer Elektrostimulation (NMES) (mit TENS-ähnlichen Parametern) klare Vorsichtsmaßnahmen. Individuelle Risiken (Abhängigkeit vom Schrittmacher, akutes Herzversagen, instabile Angina pectoris, ventrikuläre Arhythmien in den letzten 3 Monaten) müssen ausgeschlossen sein, NMES sollte nur für die Oberschenkel- und Gesäßmuskulatur verwendet werden, die Compliance des Patienten insbesondere zuhause muss gewährleistet sein und es bedarf einer regelmäßigen Überwachung vom behandelnden Kardiologen.
• Badger et al. (2017) schreiben in ihrem Review, dass die Anwendung von Elektrostimulation an der unteren Extremität bei Schrittmacherpatienten wahrscheinlich sicher sei. Da es aber zu wenig verlässliche Informationen gibt, sollte man dennoch bei der Anwendung von Elektrostimulation bei Patienten mit einem Schrittmacher oder einem ICD Vorsicht walten lassen.
• Egger et al. haben 2019 an einem Pyjama-artigen Modell, bestehend aus mehreren mit NaCl-Lösung getränkten Handtüchern, Messungen durchgeführt. Sie stellten fest, dass unilaterale Stimulationen am „Oberschenkel“ und am „Oberarm“ des Modells keine Störungen des jeweils getesteten Schrittmachers verursachten, bilaterale Anwendungen aber sehr wohl. Ihre Parameter sind nicht nachvollziehbar, aber waren „typisch für die Elektrostimulation“ und wurden mit der maximal möglichen Intensität durchgeführt. Ihre Schlussfolgerung: Elektrostimulation kann störend auf Schrittmacher wirken, insbesondere bilaterale Anwendungen. Unilaterale Anwendungen scheinen sicher zu sein.
• … und es gibt noch viel mehr davon …
Schrittmacher und implantierte Kardioverter-Defibrillatoren (ICD: implanted cardioverter defibrillator) können also nachweislich durch TENS- und MF-Anwendungen gestört werden.
Bei den Patienten mit ICDs bedeutet dies, dass sie im wachen Zustand einen oder mehrere ziemlich heftige Schocks bekommen, trotz Einhaltung des empfohlenen Sicherheitsabstandes von 50 cm zwischen Elektroden und ICD.
Der Demand-Schrittmacher misst und überwacht über eine Elektrode die Herzaktivität und gibt nur bei Aussetzen der Eigenstimulation Impulse ab. Heute werden fast nur noch multiprogrammierbare Demand-Schrittmacher implantiert.
Exogene elektrische Reize (Elektrotherapie) und starke elektromagnetische Felder (hochfrequente Elektrotherapie, zum Beispiel UKW, und Mikrowelle) stören nachweisbar die Funktion eines solchen Gerätes. Die sog. „Permanentschrittmacher“ werden durch solche äußere Reize nicht gestört und stellen deshalb auch keine Kontraindikation dar, nur relativ bei lokaler Anwendung. Diese Schrittmacher geben ständig Stimulationsimpulse ab, aber der Typ wird heute nur in Ausnahmefällen eingesetzt.
Aufgrund dieser Lage müssen der Schrittmacher und der implantierte Kardioverter-Defibrillator als absolute Kontraindikation für jede Behandlung mit niederfrequentem Reizstrom, TENS und Interferenz-Strom betrachtet werden. Dies gilt auch für Hochfrequenz-Anwendungen, dazu mehr im Kap. 9.
Der Autor läuft selber mit einem „state of the art“ ICD herum und kann bestätigen, dass eine Low TENS Anwendung am linken Ellbogen mit einem qualitativ hochstehenden TENS-Gerät zur raschen Aktivierung des ICDs führt. Am rechten Ellbogen ist dies nicht der Fall. Das ICD sitzt links oben am Thorax, etwa 2 Querfinger distal der Clavicula.
ICD-Aktivierung
Was passiert denn eigentlich bei einer solchen Interaktion?
Sagen wir mal, der Patient wendet TENS an und wird ausgerechnet zufällig gerade in dem Moment bradykard und die Herzschlagfrequenz unterschreitet die am Gerät eingestellte Schwelle.
Normalerweise greift nun der Demand-Schrittmacher ein und gibt seine Extra-Impulse ab, damit die Pumpe weiterarbeitet.
Das Gerät kann aber vom TENS-Gerät in die Irre geführt werden und „meinen“, das Herz des Patienten schläge ja schon mehr oder weniger regelmäßig und brauche keine zusätzliche Unterstützung.
Dem Patienten wird es aufgrund der Minderdurchblutung seines Hirns rasch schwindlig und er wird, wenn er Glück hat, nur bewusstlos.
Ein gut aufgeklärter Patient weiß das und stellt beim ersten Ansatz von Schwindel das TENS-Gerät ab. Nichts passiert.
Bei ICDs sieht das anders aus. ICDs sind dazu da, bei Arhythmien Serien von Impulsen abzugeben, die das Herz dazu veranlassen sollen, zum Sinusrhythmus zurückzukehren (der Arzt spricht dabei nicht von Schocks, sondern eher eufemistisch von Stimulationen).
Diese Schocks werden schrittweise stärker, je nachdem, ob der gestörte Rhythmus normalisiert wird oder nicht. Die ersten Stimulationen fühlen sich an wie eine Serie ziemlich kräftiger dumpfer Schläge auf den Thorax. Misst das ICD keine Änderung, nimmt die Intensität dieser Stimulationen zu. Normalerweise ist der Patient dann bereits bewusstlos und er nimmt die Stimulationen nicht wahr. Nicht so bei der TENS-Anwendung, da bleibt man wach. Autsch.
TENS wird bei Patienten mit Angina-pectoris-Beschwerden manchmal zur Schmerzlinderung benutzt. Die Elektroden werden dazu ventral am Thorax angelegt. Kardiologen empfehlen, bei solchen Patienten unter genauer Überwachung diese Behandlung auszuprobieren, bevor den Patienten ein Gerät abgegeben wird.
Die Patienten müssen selbstverständlich sehr genau über eventuelle Symptome (Bradykardie, Schwindel) aufgeklärt und regelmäßig kontrolliert werden.